Mythen der Gesundheit, des Sports und der Ernährung –
Teil 7: Bei Rückenschmerzen die Rückenmuskeln kräftigen!?
Mittwoch, 26.06.2024
Autor: Dr. Bernd Gimbel, KörperManagement® KG
© Foto: C. Schüßler, Adobe Stock
Wahrheit oder Mythos? Bei manchen Themen rund um Gesundheit, Sport & Ernährung fragst Du Dich das sicherlich ab und an. Unser Experte Dr. Gimbel hat die Antworten!Im 7. Teil seiner Reihe beantwortet er die Frage, ob es bei Rückenschmerzen genügt die Rückenmuskeln zu kräftigen?!
Jeder kennt jemanden, dessen Rücken von Schmerzen geplagt ist. Viele haben bereits eigene Erfahrungen damit gesammelt (fast ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland leidet darunter) und wissen, dass Rückenschmerzen die Lebensqualität massiv beeinflussen. Je nach Ursache kann die Bewegungsfähigkeit und Lebensqualität zum Teil erheblich eingeschränkt sein.
Die entscheidende Frage ist jedoch: Was können Sie als Betroffene dagegen tun? Sind Medikamente die beste Wahl? Ist ein medizinischer Eingriff erforderlich? Oder ist der häufig zu hörende Rat, „wenn Du „Rücken hast“, dann musst Du die Rückenmuskeln kräftigen“, die beste Lösung?
Dieser Aussage möchte ich heute nachgehen und klären, ob es sich dabei um eine gute Empfehlung oder um einen Mythos handelt.
„Rücken“ ist ein komplexes Gebilde
Wenn Nicht-Mediziner über „Rücken“ sprechen, meinen sie meist die Region der Lendenwirbelsäule, weil dort am häufigsten Rückenschmerzen auftreten. Diese Ansicht reicht nicht aus. Um das Thema in seiner Komplexität zu verstehen, ist es erforderlich, Ihren gesamten Körper in den Blick zu nehmen. Ausgangspunkt der Betrachtung bildet die zentrale Stütze, die Wirbelsäule mit Hals-, Brust- und Lendenwirbelabschnitt. Diese „Säule“ mit ihren knöchernen Wirbelkörpern und den dazwischen liegenden knorpeligen Bandscheiben bildet eine funktionelle Einheit, mit zum Teil sich widersprechenden Funktionen. Einerseits soll sie Stabilität gewährleisten, um Ihre aufrechte Körperhaltung zu bewahren. Andererseits muss sich die Wirbelsäule auch durch Beweglichkeit auszeichnen, denn sonst würden Sie sich „Stecken steif“ durch die Welt bewegen.
Damit beide Funktionen bedient werden können, sind Muskeln zur Stabilisierung Ihrer Wirbelsäule vorhanden. Besonders die großen Muskelgruppen wie Bauch- und Rückenmuskulatur wirken wie die Taue an einem Segelmast und haben die Aufgabe, die Wirbelsäule in ihrer physiologischen Formung aufrecht zu halten. Die Beweglichkeit wird dadurch gewährleistet, dass zum einen 24 freie Wirbelkörper (weitere 8 bis 10 sind zum Kreuz- und Steißbein verwachsen) und die 23 dazwischen liegenden elastischen Bandscheiben wie eine Perlenkette übereinander aufgereiht sind. Darüber hinaus sind die Knochen durch kleine Gelenke (Facettengelenke) und kurze Muskelfasern (tiefe Rückenmuskeln) miteinander verbunden. Dadurch können Sie Ihren Oberkörper nach vorne beugen, nach hinten strecken, nach links und rechts drehen und seitneigen.
Wodurch entsteht der Rückenschmerz?
Innerhalb dieses komplexen Gebildes verläuft das Rückenmark mit seinen Nervensträngen. Seitlich treten Nervenfasern aus, die das Gehirn mit den Muskeln im gesamten Organismus bis in seine Randzonen verbinden. Bei funktionalen Störungen kann es zu Schmerzen kommen, die plötzlich „akut“ auftreten, aber auch genauso schnell auch wieder vorüber sein können. Von „chronischen“ Schmerzen dagegen sprechen wir, wenn sie länger als drei Monate andauern.
Durch einseitige Belastungen, z.B. sitzende Tätigkeit am Arbeitsplatz, durch zu wenig Bewegung oder Übergewicht, können Muskeln sich verkürzen oder abschwächen, Bandscheiben „verschleißen“ oder an Gelenken arthrotische Veränderungen auftreten. Ist dem Schmerz eine eindeutige Ursache zuzuordnen, handelte es sich um einen spezifischen Rückenschmerz. In vielen Fällen ist ein solcher Zusammenhang medizinisch nicht herzustellen. Dann sprechen wir von unspezifischen Rückenschmerzen.
Noch komplizierter wir das Phänomen Rückenschmerz dadurch, dass hohe Verschleißerscheinungen nicht unbedingt zu starken Beschwerden führen müssen, geringe Abnutzungserscheinungen dagegen starke Rückenschmerzen verursachen können. Die Schmerzen sind häufig nicht auf den Rücken begrenzt, sondern können, wenn Sie an Ihren Ischias denken, auch in die Bein- oder Leistengegend ausstrahlen. Bei Schädigungen, wie z.B. Bandscheibenvorfällen in der Hals- oder Brustwirbelsäule, können die Schmerzen in die Arme ausstrahlen oder Herzinfarkt ähnliche Symptome auslösen. Außerdem besteht die Gefahr, dass Stress zu Rückenschmerzen führt, wenn zu viel „Last auf Ihren Schultern“ liegt.
Sind starke Rückenmuskeln die Lösung?
Bei derartig komplexen Zusammenhängen gibt es nicht „die Lösung“. Vorrangig sind eine medizinische Diagnose und ein darauf basierender Therapie- oder Trainingsplan. Wenn die Ursache von Rückenschmerzen eine muskuläre Dysbalance zwischen starken Bauch- und schwachen Rückenmuskeln darstellt, dann ist es sinnvoll, die Rückenmuskeln zu kräftigen. Wenn aber die muskulären Verhältnisse umgekehrt sind, dann würde ein intensives Training der Rückenmuskulatur, zu einer noch größeren Dysbalance führen und womöglich Ihre Rückenschmerzen verstärken.
Auch bei muskulären Verspannungen im Schulter-Nackenbereich oder bei Bewegungseinschränkungen bei der Seitneigung oder Drehung des Oberkörpers, wäre eine Kräftigung der Rückenmuskulatur eher nicht zielführend.
Ebenso verhält es sich, wenn der „Kopf Ihren Rücken belastet“. Auch in diesem Fall wären eher wenig intensive Mobilisations- und Dehnübungen in Kombination mit psychologischen Maßnahmen angebrachter als Krafttraining mit hohen Gewichten zum Muskelaufbau durchzuführen.
Der Tipp, bei „Rücken“ die Rückenmuskulatur zu kräftigen, kann zwar richtig sein, ist aber in den meisten Fällen nicht die Lösung. Bevor Sie diesem Mythos verfallen, sollten Sie stattdessen eine dafür spezialisierte Person konsultieren, um die Ursache zu ergründen. Dann gibt es sicherlich auch für Sie eine praktikable Lösung zur Besserung Ihrer Rückenbeschwerden.
Handeln Sie auf alle Fälle frühzeitig, denn wenn die Schmerzen chronisch werden, dann fällt es umso schwerer, sie wieder loszuwerden! In diesem Sinne: Packen Sie’s an!
Ihr
Dr. Bernd Gimbel
KörperManagement®
Dr. Bernd Gimbel ist Gesellschafter der KörperManagement® KG. Er war als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundesausschusses für Leistungssport beim Deutschen Olympischen Sportbund tätig. Derzeit lehrt er als Dozent an der Deutschen Fitnesslehrer Akademie und der Berufsakademie für Sport und Gesundheit in Baunatal. Zudem ist Dr. Gimbel Autor mehrerer Bücher über Körpermanagement.
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