Rückenschmerzen: Holzfigur vor blauem Hintergrund symbolisiert Rückenschmerzen

Rückenschmerzen: Wenn Homeoffice den Rücken stresst

Freitag, 25.02.2022

Psychische Belastungen und Rückenschmerzen hängen eng zusammen. Erfahre mehr von unserem Experten Dr. Gimbel.

©Foto: Alrandir, Adobe Stock

Seit der Pandemie, setzen Unternehmen verstärkt auf Homeoffice für ihre Mitarbeitenden. Je nach Menschentypus ist Arbeiten von zu Hause für die einen Fluch, weil die Privatsphäre mit dem Berufsalltag zunehmend verschmilzt und der Bewegungsradius sinkt. Für die anderen ist es ein Segen, weil sie ihre größere Entscheidungsfreiheit über ihren Arbeitsalltag genießen.

Insgesamt scheinen die Stressfaktoren im Homeoffice belastender zu sein als im Büro. Erschöpfung macht sich breit, die Konzentrationsfähigkeit lässt nach und Schlafprobleme treten verstärkt auf. Laut Deutschland-Barometer Depression 2021 leiden ein Drittel aller Beschäftigten unter den Homeoffice-Bedingungen, jeder Zehnte sogar stark. Gleichzeitig steigt die ohnehin in der Gesellschaft weit verbreitete Rückenproblematik, wie u.a. der Gesundheitsreport der Kaufmännischen Krankenkasse 2021 deutlich macht.

Rückenschmerzen: Was die Psyche mit dem Rücken zu tun hat

Beim Arbeiten im Homeoffice treffen psychische und körperliche Stressoren verstärkt aufeinander. Die fehlende Trennung zwischen Arbeits- und Berufsalltag, aber auch die soziale Isolation vom gewohnten Büroleben belasten die Psyche. Unphysiologische Arbeitsbedingungen und wenig Bewegung führen stärker als im Büro zu Rücken- und Nackenschmerzen. Es fehlt der Gedankenaustausch mit den Kolleginnen und Kollegen auf dem Weg zum Meeting, beim Mittagessen in der Kantine oder beim Spaziergang danach, der sowohl der Psyche als auch dem Körper guttut.

Die psychisch und die körperliche Ebene liegen eng beieinander. „Mir fällt eine Last von den Schultern“ sagt der Volksmund, wenn wir ein uns belastendes Problem gelöst haben. Eine psychische „Last“, deren Belastung sich in Form von Rückenschmerzen äußert, gibt es tatsächlich. Häufig findet ein Arzt bei Patienten mit Rückenbeschwerden selbst mit Hilfe bildgebender Verfahren keine anatomisch oder physiologisch begründeten Ursachen. Er diagnostiziert deshalb unspezifische Rückenschmerzen und meint damit, ein Gemisch aus psychologischen, sozialen und biophysikalischen Faktoren.

Beweise dafür, dass Stress nicht nur den Kopf, sondern auch den Rücken belasten kann, finden wir auch in der Evolution. Wenn wir erschrecken, reagieren wir mit einem urzeitlichen Reflex: Wir ziehen den Kopf ein und die Schultern hoch. Andauernder Schrecken durch permanent wirkende Stressoren lassen die Muskulatur im Rücken und im Schulter-Nacken-Bereich verkrampfen. So kann sich psychischer Stress durch muskuläre Verspannungen in Form von Rückenschmerzen äußern.

Homeoffice geht auf die Psyche

Es klingt so gut. Morgens bei Kälte sich nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder durch lange Verkehrsstaus ins Büro kämpfen zu müssen, den duftenden Kaffee in Ruhe im eigenen Sessel trinken und in legerer Kleidung den Arbeitstag bewältigen zu können.

Andere wiederum sehen dies nicht so positiv. Homeoffice ist weder „Home“ noch „Office“. Das Leben aller Mitbewohner oder Familienmitglieder mit unterschiedlichen Arbeitsaufträgen und -strukturen, definierten Zeiten für Calls und Meetings sind „unter einen Hut“ zu bringen. Kinder müssen zur Schule und zurück (gebracht), betreut, bekocht werden und benötigen häufig ein offenes Ohr für ihre speziellen Sorgen und Nöte.

Die Situationen des Einzelnen sind allerdings sehr unterschiedlich: Single, Partner, Kinder, Anzahl der Zimmer, Wohnung, Haus, Balkon, Garten? Die Reaktionen auf das Arbeiten zu Hause sind situationsabhängig und Typ bedingt.

Seit 2017 haben sich die Homeoffice-Plätze mehr als verdoppelt, die digitale Welt ist fortgeschritten. Dreiviertel meinen laut einer AOK-Umfrage, dass sie zu Hause konzentrierter und auch mehr arbeiten als im Büro. Wenn dann keine klaren Strukturen zwischen dem Privaten und Beruflichen gegeben sind, steigt der Stresspegel und sorgt für Konflikte unter den Mitbewohnern. Das geht an die Psyche.

Die Arbeitsbedingungen zu Hause sind selten ergonomisch gestaltet. Das geht auf den Körper. Stundenlanges Arbeiten am Couch- oder Wohnzimmertisch kann unser Organismus auf Dauer nicht schadlos verkraften. In Verbindung mit dem geringeren Bewegungsradius zu Hause, kann sich ein explosives Gemisch für Bauch und Rücken entwickeln. Für den Bauch, weil der reduzierte Kalorienverbrauch durch die fehlende Bewegung in Kombination mit ungünstigen Ernährungsgewohnheiten zu größeren Fettpolstern um die Hüfte führt. Für den Rücken, weil die unergonomischen Arbeitsbedingungen die wirbelsäulenstabilisierende Muskulatur unphysiologisch belasten und für ausgleichende Bewegung keine Zeit zur Verfügung gestellt wird.

Die daraus folgende Gewichtszunahme und auftretende Beschwerden können wiederum Unzufriedenheit hervorrufen und sich als weiterer Stressor auf die Psyche auswirken.

Rückenschmerzen: Zum Sitzen sind wir nicht geboren

Im Durchschnitt sitzen laut DKV Report 2021 Erwachsene pro Tag 8,5 Stunden. Ca. ein Drittel der 2.800 Befragten sitzen bei der Arbeit, Männer im Durchschnitt eine Stunde länger als Frauen. Die Arbeit im Homeoffice hat diese Tendenz verstärkt. Nicht ohne Grund gehen seit Jahren die meisten Arbeitsunfähigkeitstage auf Erkrankungen des Muskel-Skelettapparates zurück. Rückenbeschwerden sind dabei die Hauptursache.

Unspezifische Rückenschmerzen, bei denen keine eindeutige Ursache erkennbar ist, treten weitaus häufiger auf als spezifische Rückenschmerzen. Eine Studie, die 2021 vom Robert Koch-Institut im Journal of Health Monitoring veröffentlicht wurde besagt, dass ca. zwei Drittel der deutschen Bevölkerung innerhalb eines Jahres von Rücken- und Nackenschmerzen betroffen ist, Frauen häufiger als Männer. Bei ca. einem Sechstel (15,5%) halten diese 3 Monate oder länger an, treten fast täglich auf und werden deshalb als chronische Rückenschmerzen bezeichnet.

Die Einseitigkeit des Sitzens belastet unsere körperlichen Strukturen. Die Brustmuskulatur verkürzt, die obere Rückenmuskulatur ist andauernd verlängert und schwächt ab. Die Hüftbeuger sind dauerkontrahiert, und demzufolge befinden sich die Gesäßmuskeln und hinteren Oberschenkelmuskeln in andauernder Dehnung. Die Rumpfmuskulatur ist durch die Stütze des Bürostuhls nicht mehr gefordert, die aufrechte Körperposition selbstständig einzuhalten. Die zunehmende Zeit im Homeoffice unter teilweise schlechten ergonomischen Bedingungen verstärkt die schädigenden Einflüsse auf die körperlichen Strukturen. Nicht zu vernachlässigen ist, dass die zunehmende Zeitdauer der Smartphone-Nutzung die Nackenmuskulatur stark belastet. Das Kopfgewicht von ca. 4 kg erhöht mit zunehmender Beugung des Kopfes beim Blick auf das Telefon die Belastung der Nackenmuskulatur durch die Erdanziehung um ein Vielfaches.

Durch die einseitigen Fehlbelastungen entstehen muskuläre Dysbalancen. Da die Druckbelastung auf die Bandscheiben der Lendenwirbelsäule beim Sitzen höher ist als beim Stehen, findet der für ihre Ernährung wichtige Flüssigkeitsaustausch mit dem umliegenden Gewebe nicht mehr in ausreichendem Maße statt. In der Folge kommt es zu Schädigungen der Knorpelscheiben, weil sie das schwächste Glied in der Kette darstellen.

In meinem nächsten Artikel zeige ich Ihnen, wie sie präventiv reagieren, Ihrem Rücken mehr Beachtung schenken und dadurch Rückenschmerzen vermeiden können.

Bernd Gimbel © privat
Dr. Bernd Gimbel ist Gründer und Gesellschafter der KörperManagement® KG. Er war als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundesausschusses für Leistungssport beim Deutschen Olympischen Sportbund tätig. Derzeit lehrt er als Dozent an der Deutschen Berufsakademie Sport und Gesundheit (dba) in Baunatal. Zudem ist Dr. Gimbel Autor mehrerer Bücher über Körpermanagement.
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