mentale Stärke: Ein Schütze visiert mit seinem Bogen die Zielscheibe an.

Mentale Stärke im Alltagsstress: Was kann Bewegung dazu beitragen?

Mittwoch, 28.10.2020

Mentale Stärke hilft uns den Alltag zu bewältigen. Und diese kannst Du auch durch Bewegung trainieren. Unser Experte Dr. Gimbel verrät Dir wie.

© Foto: ponsulak, Adobe Stock

Mentale Stärke hat gerade in den vergangenen Monaten im beruflichen und privaten Umfeld an Bedeutung und Aufmerksamkeit gewonnen. Die digitale Transformation in den Unternehmen verändert die Arbeitswelt. Die Corona-Pandemie lässt das berufliche und private Umfeld miteinander verschmelzen. Homeoffice mit Telefon- und Video-Konferenzen statt persönlichen Treffen mit Kolleginnen und Kollegen oder Freunden. Bei vielen Menschen wächst die Unsicherheit, wie ihre Zukunft aussieht. Diese Ungewissheit versetzt viele unter Stress. Mentale Stärke ist ein Grundpfeiler, um diese Alltagsstressoren besser zu bewältigen.

Mentale Stärke lässt sich trainieren

Beim Training von mentaler Stärke werden bisher vorwiegend psychologische Methoden angewandt. Dabei wird vernachlässigt, dass auch körperliches Training einen wesentlichen Beitrag dazu leisten kann.

Bewegungstraining hat die Verbesserung der motorischen Eigenschaften, Ausdauer, Kraft, Beweglichkeit, Koordination und Schnelligkeit zum Ziel. Ausdauertraining bietet eine gute Möglichkeit die Basis zur mentalen Stärkung zu legen. Der gesamte Organismus wird gut durchblutet, alle Zellen werden mit lebensnotwendigem Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Regelmäßige Ausdauerbelastungen führen zu einer Ökonomisierung des Herz-Kreislauf- und Stärkung des Atmungssystems. Die Herzfrequenz und der Blutdruck sinken. Der Stoffwechsel schont die begrenzten Kohlenhydratdepots, die unser Gehirn zur Leistungserbringung benötigt. Stattdessen finden mehr Fettsäuren den Weg in die Energiebereitstellung. Unser Organismus verfügt dann über die optimalen körperlichen Voraussetzungen, um mentale Stärke (weiter) zu entwickeln.

Wir verstehen unter Ausdauer, eine bestimmte Belastungs- oder Arbeitsintensität über einen möglichst langen Zeitraum aufrecht zu erhalten und danach wieder schnell regenerieren zu können. Wer demnach über eine gute Ausdauer verfügt, hat eine bessere Konzentrations- und schnellere Regenerationsfähigkeit, sowohl im privaten Bereich oder bei beruflichen Tätigkeiten. Wir arbeiten länger, konzentrierter und nachhaltiger an Zielen und suchen bei Herausforderungen mit mehr Energie nach optimalen Lösungen. Ausdauertraining hat demzufolge das Potential, die Selbstregulationsmechanismen der Menschen positiv zu beeinflussen.

Ein wesentlicher Faktor für gesundes Ausdauertraining ist die Intensität. Sie sollte nach einem stressigen Alltag nicht zu hoch sein, denn je intensiver die Belastung, desto größer ist der Stressfaktor, der zusätzlich auf unseren Organismus einwirkt. Demzufolge ist es nach einem harten Arbeitstag sinnvoller, spazieren oder walken zu gehen, als wie besessen durch den Wald zu joggen. Moderate Bewegungsaktivitäten sorgen zum einen dafür, dass die Stresshormone, die sich über den Tag angesammelt haben, abgebaut werden. Des Weiteren führen sie zu einer stärkeren Selbstregulation des Immunsystems und damit zu einer zusätzlichen Verbesserung der körperlichen Widerstandfähigkeit. Gerade in der derzeitigen Corona-Pandemie ein nicht zu unterschätzender Effekt.

Nach jeder Beanspruchung – nicht nur nach körperlichem Training, sondern auch nach beruflicher Belastung – benötigt unser Organismus Pausen zur Regeneration. In dieser Zeit, der Phase der sogenannten Superkompensation, passt sich der Körper an. Die belasteten Organe und der gesamte Organismus werden leistungsfähiger. Bei Missachtung der Erholungsphasen, sinkt die Leistungsfähigkeit. Je intensiver die Belastung, desto längere Erholungsphasen sind notwendig. Dies ist ein biologisches Gesetz, dem alle Menschen unterworfen sind, egal ob Sportler oder Bürotätige. Wer keine Nachtruhe findet, auf Urlaub verzichtet oder keine Pausenzeiten zur Entspannung im Büro einlegt, wird – wie jeder Sportler – auf Dauer mit einem Leistungsabfall zu kämpfen haben. An einem Burnout zu erkranken bedeutet, über einen längeren Zeitraum zu intensiv psychisch und / oder physisch belastet zu sein und nicht ausreichend regeneriert zu haben. Pausen gehören zum Sport und zum Berufsalltag, wenn wir physisch und psychisch leistungsfähig bleiben oder werden wollen.

Fließende Bewegungen lösen Blockaden im Kopf

Auch die Bewegungsstruktur der Ausdauerdisziplinen kann die Verbesserung der mentalen Stärke unterstützen. Laufen, Schwimmen, Radfahren oder Rudern: Allen Disziplinen liegen zyklische Bewegungsabläufe zu Grunde. Das bedeutet, dass wir nach dem Erlernen der Technik auf Automatismen zurückgreifen können und uns nicht mehr auf den Bewegungsablauf konzentrieren müssen. Die Bewegung fließt von allein. Dies entlastet das Gehirn.

Beim Training können wir unseren Gedanken freien Lauf lassen, unsere Zellen mit Sauerstoff auftanken und die Schönheit der Natur genießen.

Auf diese Weise lassen sich vergleichbare Effekte erzielen wie bei einer Meditation. Bewegungsaktive Menschen kennen das Gefühl, beim Training „den Kopf frei zu bekommen“. Verantwortlich dafür sind körpereigene Substanzen (Cannabinoide, Botenstoffe wie Serotonin oder Dopamin und Hormone wie Adrenalin und Noradrenalin), die den Menschen in einen rauschhaften Zustand versetzen und Glücksgefühle vermitteln. Darüber hinaus sorgen diese Stoffe für einen besseren Schlaf, sie stärken das Immunsystems und sorgen insgesamt für den Erhalt der psychischen und physischen Gesundheit. Der Flow-Effekt (der Läufer spricht von „Runners High“) kann dazu führen, dass nach der Belastung vorhandene Probleme weniger negativ wahrgenommen werden, ohne dass sich an der tatsächlichen Situation etwas geändert hat oder neue Bewältigungsstrategien auftauchen.

Der bewegungsaktive Mensch erfährt dadurch, dass aktives Handeln zur Lösung von Herausforderungen beitragen kann. Damit werden zwei wesentliche Prinzipien mentaler Stärke angesprochen: Lösungsorientierung und ein Gefühl der Selbstwirksamkeit. Auf diese Weise können wir von der körperlichen Seite hormonell einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der psychischen Widerstandsfähigkeit leisten.

Wenn wir die Chance nutzen wollen, durch mehr Bewegung positiven Einfluss auf unsere mentale Stärke zu nehmen, dann sollten wir dieses Bestreben systematisch angehen und mit konkret formulierten Zielen verbinden. Diese Ziele sollen attraktiv sein, eine Herausforderung darstellen und mit hoher Wahrscheinlichkeit erreichbar sein.

Jeder erinnert sich vermutlich an seine Emotionen, die er beim Erreichen seiner Ziele schon erlebt hat. Erfolg macht glücklich, wir sehen die Welt positiv. Die physiologische Grundlage dazu liefert unser Belohnungssystem mit dem Botenstoff Dopamin, das zudem für die Verstärkung unserer Antriebskraft und Motivation sorgt. Dies lässt uns zuversichtlich in die Zukunft blicken und sorgt für neue Energie und Kreativität beim Bewältigen der anstehenden Aufgaben.

Vom Weltrekordler lernen

An einem extremen Beispiel können wir viel über die mentale Stärke und ausdauernde Willenskraft von Menschen lernen.

Dirk Leonhard, 38 Jahre, hat Mitte 2020 in nur 45 Tagen 30 Mal einen Langdistanz-Triathlon (der wohl bekannteste auf Hawaii geht über 3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und 42 km Laufen) absolviert, um ins Guinness-Buch der Rekorde zu kommen. Für jeden Normalbürger ist dies eine wahnsinnige, kaum vorstellbare Leistung. Sogar viele Sportler „ziehen hochachtungsvoll den Hut“ vor den Langdistanz-Triathleten.

Dirk hat die Strecken gemeistert und ist nun Weltrekordler. Er schwamm insgesamt 200 Kilometer, danach fuhr er 5.400 Kilometer Rad und zum Schluss lief er noch 1.320 Kilometer. 

Man mag es für verrückt halten, aber wir alle können daraus lernen, ohne eine derartige Leistung jemals selbst erbringen zu müssen.

Deshalb empfehlen wir Ihnen unser Online-Interview mit dem Weltmeister am Dienstag, den 03.11.2020 um 19 Uhr bis 19:45 Uhr via Zoom. Klicken Sie hier, um teilzunehmen. 

Sein kleiner Sohn hat es noch nicht ganz verstanden, denn er stellte ihm nach dieser Leistung die Frage: „Papa, was ist eigentlich Willenskraft?“.

Bernd Gimbel © privat
Dr. Bernd Gimbel ist Gründer und Gesellschafter der KörperManagement® KG. Er war als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundesausschusses für Leistungssport beim Deutschen Olympischen Sportbund tätig. Derzeit lehrt er als Dozent an der Deutschen Berufsakademie Sport und Gesundheit (dba) in Baunatal. Zudem ist Dr. Gimbel Autor mehrerer Bücher über Körpermanagement.
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