Faszientraining: Ein Mann trainiert seinen Oberschenkel auf einer Faszienrolle

Faszientraining: Dehnst Du nur oder rollst Du auch?

Mittwoch, 14.07.2021

Lerne von unserem Experte Dr. Gimbel Übungen für ein ganzheitliches Training Deiner Muskeln und Faszien kennen.

©Foto: Nadezhda, Adobe Stock

In meinem letzten Beitrag haben Sie mehr darüber erfahren was Faszien sind und dass diese Bindegewebsstrukturen Schmerzen und Erkrankungen verursachen können. Um dem Vorzubeugen, sollten sie beim Training des Bewegungsapparates mehr Beachtung finden.  Das myofasziales Training lässt sich nach den folgenden 4 Prinzipien gliedern.

Fascial Stretch – Katzen als Vorbild

Dehnen wird in der sportwissenschaftlichen Literatur immer wieder kontrovers diskutiert. Fest steht heute, dehnen kann sich sowohl positiv als auch negativ auf die Leistungsfähigkeit auswirken. Die Effekte sind abhängig von der angewandten Dehntechnik (z.B. statische oder dynamische Dehnung). Positiv ist generell: Dehnung dient zum Erhalt der funktionellen Beweglichkeit und gehört somit in jedes Trainingsprogramm, egal auf welcher Leistungsebene. Einen negativen Effekt erzielen wir beispielsweise durch statisches Dehnen bei Sportarten, bei denen die Kraft- und Schnelligkeitskomponente (z.B. Fitnesstraining an Kraftmaschinen, Sprints und Ballsportarten) eine dominante Rolle spielt. Die Muskulatur entspannt, obwohl sie zur Erbringung einer hohen Leistung schnell und maximal kontrahieren müsste. Entspannte Muskulatur erweist sich dafür als kontraproduktiv. Beim dynamischen Dehnen stellen sich diese Effekte nicht ein. Außerdem ist mittlerweile bekannt, dass Dehnung nicht das Verletzungsrisiko mindert und keinen Einfluss auf Muskelkater hat.

Diesen Erkenntnissen liegen meist Untersuchungen mit den unterschiedlichen Dehntechniken an isolierten Muskeln zugrunde. Im Gegensatz dazu werden beim faszialen Dehnen nicht einzelne Muskeln, sondern komplette Muskelketten mit ihren Faszienbahnen gedehnt. Ziel dabei ist es, durch das Einnehmen von Dehnpositionen mit unterschiedlichen Winkelstellungen auf vielfältige Art das myofasziale System zu stimulieren. Als Vorbild dienen Katzen, die sich nach dem Aufstehen strecken und räkeln, bevor sie sich dann energiebeladen neuen Aufgaben widmen.

Praxistipps

Nehmen Sie die abgebildeten Positionen ein und spüren Sie die Dehnung in Ihren Armen und der Brustmuskulatur (Abb. 1) oder der Brustmuskulatur, in der Lendenwirbelsäule, dem Gesäß und auf der Oberschenkelrückseite (Abb. 2).

Abb. 1 Faszientraining © Foto: KörperManagement® KG
Abb. 2 Faszientraining © Foto: KörperManagement® KG

Führen Sie leicht federnde Bewegungen durch und verändern Sie während der Übungen die Winkelstellungen der Arm- und Beinpositionen. Spüren Sie, wie sich der Dehneffekt in andere Muskelfasern verlagert.

Rebound Elasticity – Springen wie ein Känguru

Das Netzwerk der Faszien und ihre wellenartige Struktur ermöglicht kinetische Energie zu speichern und diese dann ähnlich eines Katapults zu nutzen. Diese Erkenntnis wurde an Kängurus nachgewiesen, die weiter springen können, als es durch reine Kontraktion der Beinmuskulatur erklärbar ist. Den Effekt können wir nutzen, wenn wir in unser Training elastische und federnde Schwung- und Sprungbewegungen einbauen, um die Dynamik unseres Bewegungsapparates zu erhalten oder zu verbessern

Praxistipps

Deshalb springen Sie auf der Stelle oder führen Sie aus dem Stand Weitsprünge durch (Abb. 3) durch. Fangen Sie mit niedriger Sprunghöhe und kurzer Sprungweite an. Steigern Sie nach und nach beide Variationsmöglichkeiten. Achten Sie bei den Sprüngen auf eine kurze Kontaktzeit am Boden bis zum folgenden Sprung und federn Sie jeden der Sprünge bei der Landung sanft ab.

Abb. 3a Faszientraining © Foto: KörperManagement® KG
Abb. 3b Faszientraining © Foto: KörperManagement® KG

Schwingen Sie aus der Vorspannung des Rumpfes (Ausholbewegung) ohne Einsatz großer Muskelkraft Ihren Oberkörper nach unten und atmen Sie dabei aus. Führen Sie die Bewegung schnell, fließend, wellenförmig mit Körperspannung vom Kopf bis Fuß aus (Abb. 4). Richten Sie sich danach wieder auf, atmen Sie ein und wiederholen Sie die Übung 8 – 10 x. Als Variation können Sie Ihren Oberkörper abwechselnd nach links und dann rechts neben die Beine pendeln lassen.

Abb. 4a Faszientraining © Foto: KörperManagement® KG
Abb. 4b Faszientraining © Foto: KörperManagement® KG

Noch sanfter können Sie dieses Training einsetzen, wenn Sie dabei das Ninja-Prinzip anwenden. Es leitet sich von den japanischen Ninja-Krieger ab, die sich geschmeidig und nahezu geräuschlos an ihre Gegner heranschlichen. Eine einfache und jederzeit anwendbare Übung ist beispielsweise mit federnden Schritten möglichst geräuschlos eine Treppe auf und ab zu gehen.

Propriozeptives Refinement – Fühlen mit dem 6. Sinn

Das Fasziengewebe ist reichhaltig mit Nervenendigungen ausgestattet. Mechanorezeptoren sprechen auf unterschiedliche Stimulationen, wie Dehn-, Zug- und Vibrationsreize, an. Propriorezeptoren dienen der sogenannten Tiefensensibilität. Sie messen Positionen und Veränderungen des Körpers im Raum und geben Informationen über Muskelspannungen, -längen, Gelenkstellungen etc.  weiter ans Gehirn. Damit unterstützen sie die zielgerichtete, koordinierte Ausführung unserer Bewegungen.

Praxistipps

Sammeln Sie ständig neue Bewegungserfahrungen und spüren Sie die dadurch auftretenden Spannungen in ihrem Körper durch bewusste Wahrnehmung. Variieren Sie die Geschwindigkeit und die Richtungen Ihrer Bewegungen im Raum.

Drehen Sie beispielsweise Ihren Arm aus dem Schultergelenk und gleichzeitig Ihre Hand aus dem Handgelenk neben Ihrem Körper. Achten Sie darauf, dass die Handfläche immer nach oben zeigt (Abb. 5). Wechseln Sie danach die Seite. Beziehen Sie Ihren Oberkörper in die kreisförmige Bewegung mit ein.

Abb. 5a Faszientraining © Foto: KörperManagement® KG
Abb. 5b Faszientraining © Foto: KörperManagement® KG

Experimentieren Sie kreativ mit neuen Bewegungen. Lassen Sie dabei Ihren Ideen freien Lauf.

Fascial Release – Rollen für den Flüssigkeitsaustausch

Praxistipps

Je nach Zielsetzung des Rollouts ist es zur Aktivierung (z.B. vor dem Training) sinnvoll, 10 – 20 Sekunden zügig über die einzelnen Partien zu rollen. Dadurch verbessert sich die Gleitfähigkeit der Muskulatur und ihr Tonus erhöht sich.

Langsames Rollen mit 4 – 8 Wiederholungen verbessert die Faserstruktur der Faszien, die Spannung im myofaszialen Gewebe sinkt und die Regeneration wird gefördert. Das Rollen in einer Richtung hin zur Körpermitte sorgt für einen besseren Austausch der Flüssigkeit. An einem Schmerzpunkt können Sie so lange verweilen, bis die Spannung merklich nachlässt.

Zu Beginn reicht es, wenn Sie jeden 2. Tag ca. 15 Minuten auf „die Rolle gehen“. Später können Sie dann die Trainingshäufigkeit ausdehnen. Die Intensität darf nur so hoch sein, dass der Schmerzreflex nicht einsetzt und die Muskulatur anspannt. Den Druck können Sie durch Veränderung der Körperposition und Abstützen auf Arme oder Beine variieren.

Legen Sie beispielsweise die Rolle unter Ihre Oberschenkel und lassen Sie sie durch Körperverlagerung vom Gesäß bis zu den Kniekehlen gleiten. Zur Verstärkung des Effektes können Sie ein Bein über das andere legen (Abb. 6). Eine Erleichterung wird erreicht, wenn Sie beide Beine nebeneinanderlegen und die Rolle über beide Oberschenkelrückseiten gleichzeitig gleitet.

Abb. 6 Faszientraining © Foto: KörperManagement® KG
Abb. 7 Faszientraining © Foto: KörperManagement® KG

In Bauchlage können Sie die Oberschenkelvorderseite bearbeiten. Durch seitliches Abstellen eines Beines auf dem Boden können Sie die Intensität der Druckbelastung besser steuern. Ist sie in dieser Position zu niedrig, dann legen Sie beide Beine nebeneinander auf die Rolle oder sogar übereinander. Dies erhöht nochmals die Druckintensität. In Seitenlage können Sie die Außenseite eines Oberschenkels behandeln.

Tipps zum Faszientraining

  • Faszientraining ist eine sinnvolle Ergänzung zu anderen Trainingsmethoden
  • Wählen Sie für eine Trainingseinheit nur wenige Übungen aus, die aber alle vier Prinzipien beinhalten.
  • Konzentrieren Sie sich beim Üben auf die Bewegungsabläufe und achten Sie darauf, dass sie sich gut anfühlen.
  • Trainieren Sie dieses Programm 2 – 4x pro Woche für ca. 10 – 20 Minuten. Diesen zeitlichen Rahmen können Sie sicherlich in Ihre Terminplanung einbauen.
  • Achten Sie darauf, dass keine allzu starken Schmerzzustände entstehen. Die Muskulatur sollte sich nicht zusammenziehen. Dies betrifft insbesondere die Behandlung der Triggerpunkte.
Bernd Gimbel © privat
Dr. Bernd Gimbel ist Gründer und Gesellschafter der KörperManagement® KG. Er war als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundesausschusses für Leistungssport beim Deutschen Olympischen Sportbund tätig. Derzeit lehrt er als Dozent an der Deutschen Berufsakademie Sport und Gesundheit (dba) in Baunatal. Zudem ist Dr. Gimbel Autor mehrerer Bücher über Körpermanagement.
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