Faszien: Wissenswertes über Dein Bindegewebe
Mittwoch, 12.05.2021
Was sind Faszien und warum lohnt sich deren Training? Das erfährst Du von unserem Experten Dr. Gimbel.
© Foto: BigBlueStudio, Adobe Stock
Es ist nicht allzu lange her, da haben SportlerInnen ihre Muskulatur ausschließlich mobilisiert, gekräftigt oder gedehnt. Seit 2012 Robert Schleip und Divo G. Müller einen wissenschaftlichen Beitrag über die Faszien veröffentlicht haben, ist zu diesen Tätigkeiten das „Rollen“ beim Training des Bewegungsapparates hinzugekommen. Es entstand ein Hype um das Faszientraining oder die Fascial Fitness, weil man erkannte, dass das faserige, kollagene Bindegewebe andere Belastungen benötigen als Muskeln und Sehnen, um sich optimal zu entwickeln. Mittlerweile ist dieser Hype einer sachlichen Auseinandersetzung gewichen. Das Ziel: Die Leistungsfähigkeit des menschlichen Organismus zu verbessern, Verletzungen vorzubeugen und die Regeneration zu fördern. Die meisten kennen die Faszienrolle, einige wenden sie vermutlich auch an, aber ihr Einsatz ist nur ein Teil dieser Trainingsmethode. Deshalb erhalten Sie heute wissenswerte Informationen zum häufig vernachlässigten Faszientraining
Faszien – Was ist das?
Sie kennen die weiße, sehnige Haut beim Zubereiten eines rohen Stück Fleisches? Bei diesem Gebilde handelt es sich um einen Teil der den gesamten Organismus durchziehenden Faszien. Sie trennen die einzelnen Organe und Gewebe voneinander, unterstützen die jeweiligen Organfunktionen und verteilen Kräfte über den gesamten Bewegungsapparat.
Faszien bestehen aus einem mehrschichtigen, vernetzten, fasrigen Bindegewebe. Das Netzwerk verleiht dem gesunden Organismus zwei wichtige Eigenschaften: Stabilität und Elastizität. Da ein Gewebetyp dies nicht allein erfüllen kann, gibt es zwei unterschiedliche Fasertypen mit nahezu gleichen Anteilen: Elastin verleiht den Faszien Elastizität, Kollagen bietet ihnen Stabilität. Die beiden Fasertypen sind eingebettet in eine flüssige Zucker-Eiweiß-Verbindung. Diese Flüssigkeit muss ständig erneuert werden, damit sie nicht „absteht“ wie das Wasser in einem See mit gestörtem Wasserzulauf und -ablauf.
Im lebenden System ist für den Flüssigkeitsaustausch in Geweben muskuläre Aktivität erforderlich. Durch die Bewegung gelangen Nährstoffe zu den einzelnen Zellen. Schädliche Stoffwechselprodukte werden über das Blut- und Lymphgefäßsystem abtransportiert. Fehlt der Flüssigkeitsaustausch oder treten einseitige oder Fehlbelastungen auf, kann sich die Zusammensetzung der Faszien in Richtung Kollagenfasern verschieben. In der Folge wird das Bindegewebe starrer und schmerzhafter.
Ein wichtiger Stoff, der im Lymphsystem zirkuliert ist das Fibrinogen. Dieser Blutgerinnungsfaktor wandelt sich im Falle eines Lymphstaus zu Fibrin um. Dieser körpereigene Klebstoff ist bei Blutungen von Wunden zuständig für deren Verschluss. Findet der Vorgang in den Faszien statt, kommt es zu einer „Verklebung“ und Verfilzung der Gewebestrukturen.
Ohne Bewegung keine gesunden Faszien
Der Stütz- und Bewegungsapparat gliedert sich in einen passiven Teil (Knochen, Knorpel, Gelenke) und einen aktiven Teil, zu dem in erster Linie die Muskeln mit ihren Hilfsorganen, den Sehnen und Faszien, gehören.
Jeder Muskel besteht aus einzelnen Muskelfasern, die sich zu Muskelfaserbündeln als größere Einheit zusammensetzen. Jede Einheit ist mit einem Bindegewebe umhüllt, das sich an den Enden jedes Muskels zu Sehnen vereint und an den Knochen ansetzt. Ziehen sich die einzelnen Abschnitte einer Muskelfaser (die Filamente – bestehend aus verschiedenen kontraktilen Eiweißen) zusammen, dann bewegen sich die Knochen über ihre gelenkartigen Verbindungen. So entsteht im Zusammenspiel von passiven und aktiven Teilen unsere Bewegung.
Da die Muskeln niemals allein über die gelenkartigen Knochenverbindungen für die Bewegung zuständig sind, sondern immer auch die Sehnen und das Bindegewebe mit agieren, sprechen wir vom sogenannten myofaszialen System.
Muskeln unterliegen unterschiedlichen Spannungszuständen. Einige weisen einen niedrigen Muskeltonus (hypotone Muskulatur), andere sind permanent angespannt (hypertone Muskulatur). Ein dauerhaft erhöhter Muskeltonus kann zu einer chronischen Überlastung führen. Durch mangelnde Durchblutung und damit einhergehender unzureichender Energieversorgung fehlt dem betroffenen Muskel die Entspannungsphase. Seine Kraft und Dehnfähigkeit leiden, und die umliegenden Gelenke reagieren auf Grund der Fehlbelastung mit Beschwerden. Häufig geht die mit einer Schonhaltung oder Reduzierung der Bewegung einher. Der sich entwickelnde Lymphstau kann nicht mehr aufgelöst werden, so dass die Faszien „verkleben“ und die Gelenke in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt werden. Auch Überlastungen oder einseitige Beanspruchung von Körperpartien können zur Folge haben, dass das myofasziale System überfordert ist und seine Leistungsfähigkeit verliert.
Weil die bislang zu wenig beachteten Bindegewebsstrukturen Verursacher von Schmerzen und Erkrankungen sein können, sollten sie beim Training des Bewegungsapparates mehr Beachtung finden. Klar ist, dass dabei Muskeln und Faszien nicht getrennt voneinander trainiert werden können. Deshalb ist jedes Training immer ein komplexes myofasziales Training. Es lässt sich nach vier Prinzipien gliedern und ist bedeutend mehr als die Benutzung der bekannten Rollen.
In meinem nächsten Artikel lernen Sie die 4 Prinzipien des Faszientrainings mit passenden Übungen kennen.
Dr. Bernd Gimbel ist Gründer und Gesellschafter der KörperManagement® KG. Er war als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundesausschusses für Leistungssport beim Deutschen Olympischen Sportbund tätig. Derzeit lehrt er als Dozent an der Deutschen Berufsakademie Sport und Gesundheit (dba) in Baunatal. Zudem ist Dr. Gimbel Autor mehrerer Bücher über Körpermanagement.
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