Regeneration Teil 1: Belastung UND Erholung bilden eine Einheit

Mittwoch, 13.07.2022

Optimierung der Regeneration - Was wir vom Sport für den Berufsalltag lernen können. Die Grundlage für die Regeneration liefert ein biologisches Gesetz, das nicht nur im Leistungssport, sondern auch im Berufsalltag Gültigkeit hat. Wir könnten alle davon profitieren, wenn wir ihm mehr Beachtung schenken würden. Wie das geht, verrät Dir Dr. Bernd Gimbel, KörperManagement® KG Bad Homburg in dieser Reihe.

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Jeder Mensch, der seit Einführung der Olympischen Spiele der Neuzeit im Jahr 1894 eine Medaille gewann, hat viel trainiert und dabei enorme Leistungen erbracht. In der Zwischenzeit haben sich die Trainings- und Regenerationsmethoden stark verändert. Eines ist allerdings gleichgeblieben: Diesen Erfolg hätte es nie gegeben und er wird auch in der Zukunft nicht möglich sein, wenn die Trainingsleistungen der Athletinnen und Athleten nicht im Einklang mit ihren Regenerationsmaßnahmen stehen.

Stressempfinden steigt an

Wer unabhängig seiner Tätigkeit physisch, aber auch psychisch hart arbeitet – und dazu zählt auch das sportliche Training – muss optimal regenerieren, wenn er seine Leistungsfähigkeit erhalten oder sogar steigern möchte. Den meisten Leserinnen und Lesern ist dieser Zusammenhang vermutlich bewusst. Nach der Arbeit wird „sich erholt, entspannt oder runtergefahren“. Jeder nennt es anders. Die Erfahrung lehrt jedoch, dass viele Berufstätige in allen Branchen insbesondere in den letzten Jahren der Pandemie zunehmend gestresst sind und unter Erschöpfungszuständen leiden. Laut einer Stressstudie der Techniker Krankenkasse von 2021 fühlten sich 2013 noch 20 %, 2016 bereits 23% und 2021 sogar 26 % der Befragten häufig privat oder beruflich gestresst. Es ist naheliegend und auch physiologisch begründbar, dass die in den letzten Jahren stark gestiegenen Zahlen der psychischen Erkrankungen in Deutschland damit im Zusammenhang stehen.

Kurze Anspannung ist wichtig für den Erfolg

Erklären möchte ich dies am Beispiel des Sports. Sportler bereiten sich körperlich und psychisch vor einem wichtigen Wettkampf konzentriert vor, um ihre bestmögliche Leistung abrufen zu können. Sie bezeichnen dieses Phänomen als „Vorstartzustand“. Auch für Büromenschen ist die psychische Anspannung vor einem wichtigen Termin von Bedeutung. Der damit einhergehende Anstieg der Herzfrequenz und des Blutdrucks, sowie die Mobilisierung der Energiereserven ist kein Grund zur Beunruhigung. Im Gegenteil, es ist die körperliche Reaktion, die uns in einen kurzzeitigen Alarmzustand versetzt, damit wir in der erwarteten Situation „alles geben können“, um bestmöglich zu performen. Wenn dieser Zustand allerdings dauerhaft anhält, und nicht wie beim Sportler im Wettkampf wieder abgebaut wird, dann kann es zu unerwünschten Folgen kommen, wie die oben zitierten Zahlen zum Ausdruck bringen.

Ohne Gleichgewicht geht es nicht

Die biologische Begründung dafür erklärt der Begriff Homöostase. Unser Organismus strebt ständig einen Gleichgewichtszustand seiner Körperfunktionen an. Jeder Einfluss von außen verursacht Veränderungen in seinem Inneren, die schnell wieder kompensiert werden. Der Körper passt sich so den Umweltbedingungen optimal an. Beispiele dafür sind: Eine Abweichung von nur einem Grad der normalen Körpertemperatur von 37 Grad bedeutet Fieber und 20 % Leistungsabbau. Flüssigkeitsverlust von 1-2 % führen zu 10 % weniger Leistungsvermögen und schon kleinere Abweichungen des pH-Wertes im Blut über oder unter den leicht basischen Werten von 7,37 bis 7,45 können den Tod bedeuten. Es ist für uns wichtig, im Gleichgewicht zu bleiben. Gelingt dies nicht, kommt es zu Störungen im Organismus mit teilweise schwerwiegenden Folgen.

Wenn wir ständig „unter Strom“ stehen, dann ist u.a. unser Blutdruck und unsere Herzfrequenz permanent erhöht, die Zucker- und Fettreserven im Blut fordern andauernd unsere Bauchspeicheldrüse Insulin zu produzieren, um den Blutzuckerspiegel unter Kontrolle zu bekommen. Solange, bis sich irgendwann ein Prädiabetes, später dann ein Diabetes Typ II eingestellt hat und Ablagerungen in den Arterien den Blutstrom behindern. Nur optimale Regenerationsmaßnahmen können diesen Kreislauf durchbrechen.  

Der Parasympatikus: Unser Bremspedal

Verantwortlich für den Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung ist unser vegetatives Nervensystem, auch autonomes Nervensystem genannt, das alle Abläufe steuert, die nicht unserem Willen unterworfen sind. Vollgas geben wir mit dem sogenannten Sympathikus. Seine Nervenfasern versetzen unsere inneren Organe in Leistungsbereitschaft und schalten die dafür nicht benötigten Organe ab. Der Gegenspieler Parasympathikus dient als Bremspedal, indem er beruhigend auf die Organe wirkt und die Regeneration fördert. Während der Regenerationsphase werden Prozesse in Gang gesetzt, die eine Wiederherstellung des physiologischen Gleichgewichtszustandes nach Belastungsphasen anstreben. Im Sport, aber nicht nur da, stehen sie immer im Bezug zu den vorangegangenen Belastungen. Je stärker die Störung des physiologischen Gleichgewichtes durch Belastungsumfänge und -intensitäten, desto mehr steigt das Erholungsbedürfnis, um die während der Belastungsphase entstandenen Mangelzustände wieder auszugleichen. Das parasympathische Nervensystem ist deshalb u.a. für die Aufspaltung der Nahrung in brauchbare Bau- und Energiestoffe sowie die Ausscheidung der unbrauchbaren Stoffe, die Regulation der Entzündungsprozesse, den Ablauf von Reparaturmechanismen und das Wachstum, wie beispielsweise das Erneuern von Zellen und Geweben zuständig. Demzufolge müssen wir den Parasympathikus triggern, wenn wir spüren, dass Belastungen zur Überlastung werden und sich Ermüdung durch unzureichende Erholung einstellt.

Wie Sie Ihren Regenerationsstatus messen können, erfahren Sie bald im zweiten Teil der Reihe. 

Bernd Gimbel © privat
Dr. Bernd Gimbel ist Gesellschafter der KörperManagement® KG. Er war als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundesausschusses für Leistungssport beim Deutschen Olympischen Sportbund tätig. Derzeit lehrt er als Dozent an der Deutschen Fitnesslehrer Akademie und der Berufsakademie für Sport und Gesundheit in Baunatal. Zudem ist Dr. Gimbel Autor mehrerer Bücher über Körpermanagement.
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